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JEDE IM BILD WAHRGENOMMENE ÄUSSERE BEWEGUNG IST TRUG UND TÄUSCHUNG UND WIRD MIT MITTELN VON TRUG UND TÄUSCHUNG DARGESTELLT.
GEYGERS BILDER SIND WIE STILLEBEN
OHNE DIESE MYSTIFIKATIONEN.

Christa Reinig, 1974

BIOGRAPHIE

BIOGRAPHIE

Eine akademische Ausbildung durchlief er nicht.

Das Studium an der Werkkunstschule in Hannover wurde durch den Krieg 

unterbrochen. Die Jugendjahre mußte er als Soldat verbringen.

Kurz nach Kriegsende trat er mit seinen Bildern hervor. Zunächst mit

Stilleben und Interieurs, die schon seine geometrische Formauffassung

zeigen, später mit abstrakten Gemälden. Eine Reihe von Ausstellungen

und Auszeichnungen beweisen die rasche Anerkennung seines Schaffens.

Z.B. wurde er 1953 mit dem Kulturpreis des Bundesverbandes der

Deutschen Industrie ausgezeichnet und 1958 erhielt er das

Romstipendium der Villa Massimo.

 

1963 wurde Geyger Professor an der Hochschule für Bildende

Künste in Braunschweig. 1965 folgte der Ruf an die Städelschule, 

Hochschule für Bildende Künste Frankfurt am Main, wo

er mit großem Engagement für seine Schüler bis 1986 lehrte.

 

Die Arbeiten der 60er Jahren sind den Themen des Schlachtfeldes

und des menschlichen Martyriums gewidmet. In starker Abstraktion

kommt das Zerstörerische und Zerstörte im Bild zur Ruhe. In den

70er Jahren entstanden Bilder ruhender Tiere, deren lasiert dargestellte

Haut ihre Verletzlichkeit kundtut und deren fragile Gliedmaßen im Kontrast

zu ihren flächigen Körpern stehen. Pferde- und Reiterbilder folgten in der

nächsten Phase. Das Tier dominiert, z. B. wirft es den Reiter aus dem Bild.

Dem Kriegerischen und Gewalttätigen wird in den Bildern Geygers eine

deutliche Absage erteilt. Auch spätere Bilder der ungeheuer intensiven

Schaffensperiode nach dem Ende der Lehrtätigkeit, verdichten Bilder des

Schreckens und der Gefahr zur stillebenhaften Ruhe, die zuweilen rätselhaft

und mythisch anmutet.

Durch die hohe Rationalität des Zeichensystems, in das auch die Flächen

des Grundes eingebunden sind, entsteht ein Spurentext höchst existentiellen

Geschehens.

(Angelica Horn, 2001)

    in Hannover geboren
    Studium an der Werkkunstschule Hannover
    Soldat
    Erste Ausstellung in der Orangerie Herrenhausen
    Stipendium des Kulturkreises des Bundesverbandes der deutschen Industrie
    Mitglied des Deutschen Künstlerbundes
    Stipendium Villa Massimo, Rom
    Lehrer an der Werkkunstschule Hannover
    Förderpreis des Niedersächsischen Kunstpreises
    Berufung an die staatl. Hochschule für Bildende Künste, Braunschweig
    Berufung an die Städelschule, Frankfurt/Main

    Emeritierung
    am 9. August stirbt J. G. Geyger in Frankfurt am Main

1921     

1940     
1941- 45     
1946     
1953     
1955     
1958     
1961     
1962     
1963     
1965    

1986    
2004     

BIOGRAPHIE

GEMÄLDE 

AUSWAHL

1999 - 1977
1976 - 1943
WERK
Text

Angelica Horn

zum Tode von Johann Georg Geyger

 

Liebe Freunde, verehrte Verwandte und Bekannte,

 

wir  wissen nicht, was der Tod ist; wir kennen ihn nicht. Wir wissen nicht, woher wir kommen und wohin wir gehen. Wir wissen nicht einmal, ob wir irgendwoher kommen und ob wir irgendwohin gehen. Anfang und Ende liegen im Dunklen. An die Geburt können wir uns nicht erinnern, wir wissen von ihr durch das Zeugnis anderer; den Tod haben wir vor Augen, auch wenn wir diese davor verschließen, um leben zu können. Wir wissen nicht, wann und wie es uns ereilen wird, wir wissen nur das, und dies ist das einzige absolute Wissen, daß der Mensch hat.

Johann Georg Geyger mochte sich keiner der Antworten, die die Religionen der Welt auf die Frage nach Anfang und Ende geben, anschließen. Vor allem die Vorstellung einer welttranszendenten Existenz war ihm suspekt. Zugespitzt bezeichnete er sich selbst als „Atheist“, jeder sentimentalen Frömmigkeit abhold. Johann Georg Geyger war Rationalist, er vertraute der kühlen Sachlichkeit des Verstandes. Zudem war er Pessimist und litt als solcher am Leiden in der Welt und am Menschen, der seinesgleichen und sich selbst Gewalt und Zerstörung antut. Sein Blick war auf das Leben gerichtet, auf die Spanne zwischen Anfang und Ende, die wir gestalten können und für die wir verantwortlich sind. Als ewig Suchender und Strebender war er unterwegs, eine faustische Natur, auf der Suche nach seinem Werk, auf der Suche nach einer gültigen Form der Welterfassung, nach der künstlerischen Negation von Gewalt, nach einer Schönheit, die die Schönheit der Natur rettet und dem menschlichen Geist Heimat bietet, Ruhe und Kraft.

In dem Philosophen Schopenhauer, dessen Grab ebenfalls auf diesem Friedhof liegt, fand Geyger eine verwandte Seele, einen verwandten Geist. Mit ihm teilte er Rationalismus und

Pessimismus, mit ihm teilte er den schier unbedingten Formwillen, der sich nicht nur auf das eigene Werk, sondern auch auf das eigene Leben erstreckte, auf die eigene Haltung, auf die Wahl des Umgangs wie der äußeren Gestaltung, der Kleidung und der Frisur, der Wohnung und der Speisen. Wie diesem war ihm eine höchst empfindliche Sensibilität zu eigen, die ihn zu äußerster Präzision in der Wahrnehmung wie in der Gestaltung befähigte und die ihm wie diesem Strenge und Unnachsichtigkeit gegen alles Formlose bescherte. Gemeinsam war beiden die Liebe zur schutzlosen, schuldlos verletzen und geschundenen Kreatur, der Wille zur Menschlichkeit und zur Bestimmtheit im Ausdruck, zum Pathos nicht der Sentimentalität, sondern zum Pathos der Distanz. 

 

Johann Georg Geyger wurde am 21. August 1921 in Hannover geboren. Er wurde „Hanno“ gerufen nach dem Hanno in Thomas Manns Roman „Die Buddenbrocks“. Der Vater Paul, ein blonder Niedersachse, war Apotheker; die Mutter Justine war Belgierin, von der er seine Züge und das dunkle Haar erbte. Johann Georg hatte zwei Schwestern, von denen eine noch im Harz lebt. Der Knabe wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Schon früh zeigte sich seine zeichnerische Begabung. Unterstützt von der Mutter und einem Onkel, der Bildhauer war, begann er nach dem Abschluß des Gymnasiums eine Lehre als Lithograph und wurde nach der Gesellenprüfung Schüler der Werkkunstschule. „Diese Studium“, so heißt es in einem Fragment eines Lebenslaufes von 1961, den wir in seinem Nachlaß fanden, „dieses Studium wurde 1941 durch die Einziehung zur Wehrmacht beendet. Der Kriegsdienst, der mich nach Rußland, Frankreich, Belgien und Italien führte, dauerte bis zum Sommer 1945./
Nach meiner Rückkehr konnte ich endlich meinen Wunsch, Maler zu werden, verwirklichen. Die Schwierigkeiten der Nachkriegszeit machten es mir unmöglich, eine Akademie zu besuchen, da ich selbst für meinen Lebensunterhalt sorgen mußte. Dies gelang mir durch die Übernahme von gebrauchsgraphischen Arbeiten, mit denen ich bald einigen Erfolg hatte. So habe ich im Laufe der Zeit u.a. über 250 Schallplattentaschen für die Deutsche Grammophon-Gesellschaft und über 50 Plakate entworfen.“ Seit 1947 war Geyger in Ausstellungen deutscher Malerei und seit 1953 mit Einzelausstellungen vertreten, schon früh erhielt er Anerkennung und Preise, deren wichtigster wohl ein einjähriger Aufenthalt in der deutsche Akademie zu Rom war, wo er u.a. Tankred Dorst, Uwe Johnson, Ludwig Greve und den Komponisten Wilhelm Killmayer kennenlernte und lang währende Freundschaften schloß. Nach Lehrtätigkeiten in Hannover und Braunschweig erhielt er 1965 eine Berufung an die Städelschule, Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt am Main, wo er bis zur Pensionierung 1986 unterrichtete. Daran schloß sich eine höchst intensive Schaffensphase an, bis sein Augenlicht sich trübte und seine Kräfte nachzulassen begannen. Mehrere Schlaganfälle setzten ihm zu, bis er an den Folgen eines letzten am Montag, den 9. August in Frieden verstarb.

 

Wir verabschieden uns heute von einem ganz besonderen Menschen und Freund. Johann Georg Geyger war ein Mensch von feinster Sensibilität und von ausgeprägter unangepaßter Eigenheit. Kindheitsfotos zeigen ihn als gewitzten Jungen, mit offenen Augen und spöttischem, vielleicht gar ironischem Spiel des Mundes, andere als schönen, herzallerliebsten  Knaben mit melancholisch-traurigem Blick. Sein unangepaßter Eigensinn rettete Johann Georg das Leben. Wie Christa von Helmolt in einem Zeitungsartikel wiedergab: „Er war 19 und hatte gerade ein Semester Werkkunstschule hinter sich, als er zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Funker Geyger aus Hannover kam nach Kiew, wurde wegen Fehlverhaltens gegen den Vorgesetzten nach Frankreich strafversetzt – während seine Kameraden nach Stalingrad zogen und dort umgekommen sind.“ Johann Georg war ein Überlebender, ein sich Rettender. Weiter nach Italien versetzt, desertierte es in einer selbst­inszenierten Pause des transportierenden Busses und rannte durch die Nacht. Am Tag des Waffen­stillstands fand es sich in Tizians Geburtsort unter dem Campanile wieder.

Johann Georg Geyger trotzte seine Freiheit und den malerischen Beruf seinem Schicksal und seiner Herkunft ab. Geyger war Autodidakt und legte schließlich wert auf diese Karriere. Bildung war ihm keine verordnete Veranstaltung, sondern ein Prozeß des Sichöffnens, des Kennenlernens und Resultat eigenen Bemühens. Bildung ist Selbstgestaltung, Bildung bedeutet Überlebenswillen als Mensch, Bildung bedeutet Freundschaft. Er erzählte mir, wie die Soldaten sich gegenseitig unterrichteten, z.B. Latein lernten. Johann Georg Geyger eignete sich Musik, Kunst und Literatur der europäischen Kultur an und wurde zum großen Kenner.

Seine Wahrnehmungsfähigkeit war nicht nur auf das Auge spezialisiert, sondern ebenso auf das Ohr und die Phantasie. Geyger liebte die Musik, zugleich strukturell und tief empfindend hörend. Als Mensch der Form war ihm letztlich Bach der größte, dessen durchgestaltete Kunst der Form zugleich am tiefsten das Herzen berührt. Besonders liebte er das vorhin gehörte Stück „Nun komm der Heiden Heiland“.

Geyger war zudem ein Mensch der Literatur. Hier liebte er vor allem Goethe, Thomas Mann und die Bildungsromane von Karl Philipp Moritz und Ulrich Bräker, die Gedichte von Trakl und die Prosa Schopenhauers und Gracians. Bildung war für Geyger eine Sache des Nehmens und Gebens. Er machte sich zuweilen einen Spaß daraus, seinem Telefonpartner mitzuteilen, was dieser gerade lese, und er wußte zu treffen. Schülern und Freunden wußte er Augen und Ohren zu öffnen, ein Kunstverständnis und damit eine Welt zu erschließen, Aufmerksamkeit und Formbewußtsein zu wecken. Er war kein Mensch des Bildungskanons, wie es jetzt in Zeiten postpostmoderner Bildungslosigkeit zeitgemäß scheint, sondern er zeigte die Form auf, die zugleich bedeutet, weil
sie und insofern sie Form ist. Ich für meine Person bin ihm in dieser Hinsicht dankbar für unsere Besuche in der graphischen Sammlung des Städels, wo er uns Blätter vorlegen ließ, und er mir und wir uns Details zeigten und deren Bedeutung erfaßten. Johann Georg Geyger, der ein Blatt von Picasso und ein Bild von Kersting sein eigen nannte, sammelte selbst ostasiatische Holzschnitte und war ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet.

Johann Georg Geyger war schon früh begabter Zeichner und begann früh zu malen. Er malte auch während des Kriegs, vor allem Landschaften, und verkaufte Arbeiten an seine Offiziere. In den 50er Jahren erfolgte der Schritt zur Abstraktion. Geygers Kunst diente der Auffassung von Wirklichkeit. Es gibt bei ihm keinen Expressionismus, keinen direkten Ausdruck subjektiver Befindlichkeiten. Es gibt bei keine Kompositionen, die rein formal konstruiert sind. Noch seine gänzlich abstrakt anmutenden Bilder sind gegenständlich gedacht, und Geyger konnte dem Betrachter, der die Sachen oft nicht erkannte, erklären, welche Form was ist. Seine Kunst war ebensowenig wie die bildhauerische seines Freundes und Kollegen Michael Crossaint abbildend, auch wenn z.B. Köpfe und Körper identifizierbar sind. Es ging Geyger nicht um die Wiedergabe eines subjektiven Wahrnehmungsbildes, sondern um die Auffassung der Sache. Zwischen Wahrnehmung und Malerei lag in Geygers Schaffen das Denken, das Denken über das Wesen des Bildes und über das Thema, unter Umständen auch darüber wie andere Künstler es begriffen. Vor jedem Bild lag der anstrengende Prozeß der Findung einer Bildidee, lagen die „Hausarbeiten“, wie Johann Georg Geyger sie nannte. Lag dann die Skizze vor, übertrug Geyger sie auf die große Leinwand. Dann begann das Malen.

Geygers Kunstauffassung ist in ihrer Ernsthaftigkeit und im Prinzip der Sachhaltigkeit der Klassik verpflichtet. Der Moderne ist er in der radikalen Offenlegung der malerischen Mittel, in der Absage an jede Täuschung und in der Thematisierung der Bildfläche und des Grundes verpflichtet. Geyger war eine Virtuose im Beherrschen der malerischen Mittel; oft aber wurden schöne Stellen von ihm wieder entfernt. Er wollte den Betrachter nicht ergötzen und erbauen, sondern die Ruhe im Bild und vor dem Bild, die Distanz des Künstlers wie des Betrachters, die allererst die genaue Betrachtung des Bildes ermöglicht. Seine Bilder wollen im Detail gelesen werden. In ihnen kommt seine Welterfahrung zum Ausdruck, die Erfahrung der Schönheit wie der Katastrophe, des Leids und des Abbruchs. Wie Christa Reinig zum Zyklus der Heiligen Katharina schrieb: „Es gab keinen Auftrag, diesen Zyklus zu malen. Es gab das Erlebnis des Martyriums und den Willen, die Bilder zu diesem Erlebnis hinzuführen. Bild um Bild wird dem Leiden entgegengeführt.“

Johann Georg Geyger war ein Unzeitgemäßer, nie wollte er Parteigänger des Zeitgeistes sein. Hinterlassen hat er uns seine Kunst, die auch uns noch überdauern wird, und die Erinnerungen an einen Freund, der zuzuhören und zu trösten verstand, der in tiefem Verstehen seines Gegenübers zu raten wußte, an einen Mann hoher Bildung, der mit Brillanz und Witz zu glänzen wußte. 

Wir danken Dir.

 

Angelica Horn  

17. August 2004

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Susanne u. Alexander Beck

Gartenstr. 47

60596 Frankfurt

069/616090

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